Reisebericht: Solothurn vom 25. August 2013

Auf den Spuren von Dienstboten, Bettlern und Huren

Am Sonntagmorgen starteten 41 Elgger Kirchenchörler wohlgelaunt zu ihrem traditionellen Jahresausflug. Ziel war die Ambassadorenstadt Solothurn, wo wir nach zügiger Carfahrt bei leichtem Nieselregen pünktlich ankamen. Wir wurden denn auch schon erwartet zu einer total anderen, ungewohnten Stadtführung. Es ging für einmal nicht um Kirchen, Museen und schöne Gebäude. Zuerst mussten wir nämlich dem Bettelweib unseren Obolus in Form eines Goldstücklis, sprich Fünferli, in die Holzschale werfen; erst dann durften wir durchs Baslertor in die Stadt eintreten. Nun wurden wir auch gleich eingeführt ins hohe ABC der „Bettelzinken“. Es wimmelte denn auch nur so von geheimen Hinweisen an allen Ecken. So bedeutet z.B. ein Zeichen „hier erhält man nichts“ oder „hier wohnen Frauen, die sich leicht beschwatzen lassen“, „bissiger Hund“ oder „recht fromm tun lohnt sich“! So schlenderten wir denn, immer nach einem verräterischen Zeichen spähend, durch die obere Stadt, vorbei an hablichen Bürgerhäusern. Dabei vernahmen wir von Bettlerin Marie-Christine Egger viel Wissenswertes über Solothurn, das um 20 n.Chr. als Salodurum von den Römern gegründet wurde, zusammen mit Trier eine der ältesten und wichtigsten deutschsprachigen Städte war und 1481 zur Eidgenossenschaft kam.
In der minderen, unteren Stadt gings dann deftiger zu. Hier hatten kleine Handwerker, aber auch Dirnen, Gauner und sonstiges Gesindel, das nicht selten am Galgen vor dem Stadttor landete, ihren Tätigkeitsbereich. Die Zeit verging wie im Flug, und unser Bettelweib führte uns auch schon zum verdienten Znüni, der logischerweise aus Wasser und Brot bestand. Aber schon bald gings wieder in die Stadt, wo wir auch einiges über Politik und Lebensweise der hohen Herrschaften im 17./18. Jahrhundert vernahmen. So waren wir denn wieder in der Oberstadt angekommen, wo wir auch noch die wunderschöne, kunstfertige astronomische Uhr bewunderten. Gleich nebenan, im Hotel Roter Turm, kehrten wir dann ein zum Mittagessen, ganz im Stil des Ancien Regime. Das „Bettlermenue“ war alles andere als ärmlich, so gab es denn ganz stilecht auf französisch einen „salade gar nie (avec rien de rien)“ oder zum Dessert „Trou de fromage oder Füfermocke sans papier“! Zwischen den Gängen verwöhnte uns das Bettlerweib mit Drehorgelmusik und allerhand weiteren amüsanten und lehrreichen Informationen, z.B. über das Rotwelsch, die Sprche der Bettler und Gauner. Das Essen war wirklich ausgezeichnet — pardon – „superbe“.
Nachdem wir uns alle ausgiebigst gestärkt hatten gings weiter im gleichen Stil. Diesmal durften wir den privaten Wirkungskreis unserer Bettlerin als Dienstmädchen auf Schloss Blumenstein besichtigen, ein kleines Bijou etwas ausserhalb der Stadt, das der Familie als Sommeraufenthalt diente, da es in der Stadt zu heiss war und stank. Als Dienstmagd Marie zeigte uns nun unsere Führerin „verbotenerweise“ in Abwesenheit der Herrschaft das herrschaftliche Anwesen. Welch ein Unterschied zwischen unten und oben, zwischen Dienstpersonal und Herrschaft! Anschaulich und mit vielen Anekdoten und grossem Fachwissen wurden wir in die Geheimnisse der richtigen Bedienung einer noblen Dame eingeführt. Zum Schluss gabs dann für alle noch ein Tässchen von jenem schwarzen, sündenteuren neumodischen Getränk, das Marie jeweils für Madame in der Apotheke posten musste – heute nennen wir es Kaffee!
Anschliessend erwartete uns im wunderschönen Garten unter mittlerweile blauem Himmel eine weitere Überraschung: ein Geburtstagsapéro très riche! Wir liessen es uns schmecken und die Gläser klingen. Mit einem herzlichen Dankeschön an unsere Bettlerin und Magd Marie, die uns mit ihrem Schalk und einem enormen Wissen durch den Tag geführt hatte, verabschiedeten wir uns mit ein paar fröhlichen Liedern von Solothurn. Nach einem kurzen Stau trafen wir pünktlich in Elgg ein. Der Organisatorin und grosszügigen Spenderin Gertrud gebührt auch an dieser Stelle nochmals ein ganz grosser Dank für diesen wundervollen Tag mit Abstecher ins Ancien Regime!

Sylvia Ziegler